Wilhelmshavener Erstaufführung

FAMILIENANSLUSS

Komödie in drei Akten von Karl Bunje

Aufführung im Gesellschaftshaus

Spälbaas Heinrich Frese

Personen
Krischan Barkhahn, alter Kapitän - Hermann Beuß
Mali, seine Frau - Therese Peters
Erna, beider Tochter - Elisabeth Robbe
Alfred Stegmann, ein junger Kaufmann - Willi Völker
Klaus Seekamp, selbständiger Schiffer - Paul Solterbeck
Der Gerichtsvollzieher - Adolf Marxfeld
Jochen Krull, mehrfahcer Hausbesitzer - Arno Tholen
Zwei Möbelpacker - Heinrich Aden, Christoph Janssen

Wilhelmshavener Kurier vom 12. Oktober 1938

Käppen Barkhahn kann an Land nich torechtkamen!

Unsere Niederdeutsche Bühne Rüstringen eröffnete mit Karl Bunjes "Familienansluß" ihre Winterspielzeit

von Hermann Ahner

"Nee Vadder, wat hest du denn nu all wedder anstellt?!" Die betuliche Frau des ollen Kapitäns Krischen Barkhahn und die knusperige Tochter Erna haben wahrlich oft Ursache zu diesem Ausruf. Der olle Käppen Barkhahn ist von einer kleinen Küstenreederei gleichsam aufs Trockene gesetzt in des Wortes zweifacher Bedeutung: Er bekommt keine Pension wie seine Kameraden von der großen Schiffahrt, sitzt nun an Land und muß sich da, treuherzig wie er ist, mit allen Widerwärtigkeiten herumscnlagen.

Barhahn hat schon fünf Konkurse gemacht, zuletzt in seinem Grünkramladen, denn er kann es nicht übers Herz bringen, arme Leute fortzuschicken, wenn sie nicht bezahlen können. So ist er denn schließlich auf die Idee gekommen, in einer neuen Wohnung eine "Pension mit Familienanschluß" einzurichten. Die Logismänner sollen es bei ihm "wie zu Hause" haben. Freilich, die Möbel hat er auf Abstottern gekauft und als Anzahlung nahm er das letzte Geld, das im Hause und für die Miete bestimmt war, und auch sonst ergeben sich sehr viele Schwierigkeiten.

Aber der alte Barkhahn weiß sich in allen Situationen zu helfen. Mann kann diesem alten Seemann, der in seiner Herzenseinfalt alles sehr leicht nimmt, wirklich nicht böse sein, selbst wenn er großzügig mit dem Tausenmarkschein herumprahlt, der ihm nicht gehört, sondern vom Logismann nur in seine "sichere" Verwahrung gegenben worden war. Ein alter Kapitän also, den Karl Bunje, unser erfolreicher niederdeutscher Lustspieldichter und Sohn unserer Stadt, mit aller Liebe gezeichnet hat. Ja, es scheint uns, als wenn er, der im alten Bant und Brake wohl das Los der alten Küstenschiffer beobachten konnte, etwas deutlicher hinweisen wollte auf die Notwendigkeit, diesen alten Kapitänen den Lebensabend zu erleichtern.

Vielleicht wollte Karl Bunje dazu noch ein übriges: Als langjähriger Finanzbeamter nahm er auch die Gelegenheit wahr, in dem Gerichtsvollzieher, der gewissermaßen der ständige Begleiter des ollen Käppen ist, eine Type anzudeuten, der nicht wenig darunter leidet, daß dieses Amt seinen bitteren Beigeschmack hat. Auch dieser Gerichtsvollzieher hat ein weiches Herz in der Brust, ist besser als sein Ruf und zahlt sogar, als eine Taschenpfändung bei Barkhahn natürlich erfolglos ist, aus eigener Tasche einen Betrag.

Übrigens so ganz unmotiviert doch nicht, denn als Witwer mit drei Kindern möchte er gern die frische und tüchtige Erna zur Frau. Die aber ist so umworben von dem Prokuristen Stegmann, von dem mehrfachen Hausbesitzer Krull (dem es mit einem mal sogar nicht mehr so sehr eilig ist mit der Miete) uns schließlich am heftigsten von dem jungen Kapitän Seekamp, der als Logismann mit Familieanschluß bei Barkhahn einzieht, daß sie sich bei diesem Andrang für den Witwer am wenigsten interessiert. Daß es der sympathische, hilfsbereite und aufrechte Kapitän Seekamp wird, dürfen wir noch verraten, im übrigen soll nicht mehr erzählt werden von allem, was in dieser Komödie passiert und die Zuhörer vor allem deshalb so sehr ins Lachen bringt, weil alles aus dem Leben genommen und nachgezeichnet ist.

Jedenfalls hat Karl Bunje mit seinem "Famileinanluß" wieder einmal ein ricntiges Volksstück geschrieben. Es bewahrheitet sich immer wieder, daß die niederdeutsche Bühnenliteratur hieran reicher ist, als das hochdeutsche Theater und das manche Lustspieldichter bei ihren plattdeutschen Kollegen in die Schule gehen sollten. Eine Figur wie dieser alte Käppen Krischen Barhhahn wird man so schnell nicht vergessen. Zumal wir an der Küste haben in unserer Verwandschaft und Bekanntschaft ja selbst so einen goldigen Kerl, dem man nichts übel nehmen kann, selbst wenn er den größten Unfug anrichtet. Und wenn nun Hermann Beuß diesen ollen Krischan spielt, dann weiß man schon, was man zu erwarten hat. Wie dieser alte Theaterhase, der mit seinen über achtzig Jahren immer noch jung geblieben ist, diesen Barkhahn spielt, das muß man selbst sehen, muß sien kniffliges Mienenspiel beobachten, seine erstaunten Pupillen, wenn mal wieder etwas schief gelaufen ist, sein Schmunzeln, wenn er die kleinen Schinkenscheiben mit dem Fleischklopfer kunstgerecht vergrößert, seinen köstlichen Humor in allen Lebenslagen. Hermann Beuß hat hier wieder eine jener tragenden Rollen, die beweisen, wie sehr er diesen Volkstypen auzuschöpfen weiß. Nicht minder sicher in Spiel und Charakterisierung Therese Peters als seine Frau, eine niederdeutsche Laienspielerin, um die manche große Bühne bereichert werden könnte. Und schließlch haben wir in Elisabeth Robbe die nüdliche Erna, die Speelbaas Frese neu entdeckt hat und die er gewissermaßen von der Schule auf die Bühnenbretter hob, denn sie ist erst sechszehn Jahre alt, hatte gestern ihren ersten Bühnenauftritt und gefiel schon gleich so gut, daß wir uns noch viel von ihr versprechen.

Den jungen Kapitän Seekamp spielte Paul Solterbeck, der früher im Ollnburger Kring schon Bühnenluft geschnuppert hat und nun nach seiner Versetzung nach hier die Reihe der niederdeutsche Darsteller unserer heimischen Bühne vortrefflich erweitert. So lebensecht wie sein Kapitän war auch der junge Prokurist Stegemann des Willi Völker, der schüchtern liebende Gerichtsvollzieher des Adolf Marxfeld und der ebenso auf Freiersfüßen gehende Hausbesitzer Krull des Arno Tholen. Alle Volkstypen, die mit sicheren Strichen angedeutet, dem Leben entnommen sind, wie auch die beiden robusten Möbelpacker von Heinrich Aden und Christoph Janßen.

Unser bewährter Speelbaas Heinrich Frese, hat bei der Einstudierung Sorgen gehabt, da durch die Ereignisse der letzten Zeit Spieler ausfielen und deshalb Rollen umbesetzt werden mußten. Damit sei erklärt, weshalb die gestrige Darstellung ihn ihrem Tempo nicht ganz bis zum Schluß durchhielt, wobei der letzte Akt sowieso nicht mit dem Brillantfeuerwerk des zweiten konkurrieren kann. Karl Bunje hatte den "Familienansluß" ja zuerst als Einakter geschrieben und nachher zu einem abendfüllenden Stück ausgeweitet.

Unsere "Niederdeutsche Bühne Rüstringen" eröffnet mit diesem Bühnenstück neueren Datums ihre Winterspielzeit. 'Wie wenig hinwegzudenken sie ist aus dem Kulturleben Wilhelmshavens, welche schöne und große Aufgbae sie gerade in unserer Großstadt hat, bewies der volle Saal des "Gesellschaftshauses" gestern schon und der fröhliche Beifall. Heute abend wird für "Kraft durch Freude" gespielt und in einigen Tagen werden Mitglieder und Freunde der NSDAP genau so herzlich lachen und fröhlich werden, wie wir gestern abend. Es tut gut, sich einmal von der heiteren Sorglosigkeit des ollen Krischan Barkhahn einfangen zu lassen. Etwas davon kann jeder für sein Leben gebrauchen.