De Kunnerlüür oder Goot smeert is half wunnen (NDE)

Uraufführung (13.11.1993)

DE KUNNERLÜÜR ODER GOOT SMEERT IS HALF WUNNEN

Komödie in fief Töörns van Arnold Preuß nach Nikolei Gogol "Der Revisor"

Inszenierung: Georg Immelmann
Bühnenbild: Marion Eiselé
Kostüme: Christine Saurbier
Regieassistenz: Luise Pampuch

Bühnenbildbau: Alfred Christoffers, Walter Borraß, Erwin Hildebrandt, Sönke Kiewitt, Karl-Heinz Goldenstein, Gesienus Thomas, Günter Newerla, Siegfried Margowski, Ulrich Weiß, Ulrich Schmidt und Klaus Panka
Bühnenmaler: Herbert Ulbrich
Beleuchtung: Peter Pfaus, Uwe Freiberg
Requisiten: Helga Borraß
Inspizientin: Helga Borraß
Souffleuse: Annchen Warrings-Konken

Rollen und Darsteller
Asmus Ansmann, Stadthauptmann - Arnold Preuß
Anna Ansmann, sien Fro - Christine Fein
Maria Ansmann, sien Dochter - Petra Loschen
Friedrich Lamken, Richter un Schoolinspektor - Manfred Janßen
Karl Specketer, Postmeistser un Sükenhuusverweser - Horst Jönck
Peter Hansen, Grootbuer - Klaus Aden
Peter Nansen, Grootbuer - Horst Karstens
Jans Schlünsen, de Kunnerlüür - Jürgen Tapken
Ossi, sien Dener - Wilfried Pampuch
Ahrens, Kramer - Ralf-Rüdiger Bayer
Matten, Dener - Klaus Panka
Kellner - Günter Jaedeke
1. Wachtmeister - Heinz Zomerland

Assmann (Arnold Preuß, li) hält Schlünsen (Jürgen Tapken, Mitte) für einen berüchtigten Kontrolleur, das glauben auch Klaus Aden und Wilfried Pampuch

NORD-WEST-ZEITUNG vom 15.11.1993

Ein Windbeutel kassiert ab

Gogols "Revisor" als "Kunnerlüür" zurückgekehrt Uraufführung

Von Ernst Goetsch

Wilhelmshaven. Ein "Kunnerlüür" was ist das? Zu Hochdeutsch: Ein Kontrolleur, ein Visitator, ein von der Obrigkeit Entsandter. Einer, der bis in den letzten Winkel der allertiefsten Provinz hinein erkunden soll, ob die lieben Untertanen auch alle eine reine Weste haben. Was geschieht, wenn so ein Mann von ganz oben überraschend ganz unten einsteigt, hat Nikolaj Gogol, der ukrainische Dichter, vor 157 Jahren ebenso komisch griffig wie zeitsatirisch in seinem "Revisor" auf die Bühnenbretter der Welt genagelt: Ein Windbeutel düpiert die korrupte Gesellschaft einer russischen Kleinstadt, beutet sie aus, indem er kein Abgesandter, sondern nur ein zufällig vor Ort gestrandeter Hasardeur! die Honoratioren ausnimmt wie die Martinsgänse.

Bei der "Uraufführung" der Niederdeutschen Bühne Wilhelmshaven am vergangenen Sonnabend feierte dieser "Revisor" des Jahrgangs 1836 fröhliche Urständ als Mundart sprechender "Kunnerlüür", der bedrohlich störend in den Scheinfrieden einer norddeutschen Kleinstadt des ausgehenden 19. Jahrhunderts (so etwa um 1880) einbricht einer, der sich schmieren läßt von jenen, die sich selbst durch Schmiergelder ihrer Schutzbefohlenen nach oben gerobbt haben. Der rotbefrackte "hohe Herr" aus der fernen Residenz kassiert ab, turtelt und tändelt und verzieht sich, bevor ruchbar werden kann, daß er, der vermeintliche "Kunnerlüür" nur ein armer Hund ist, der durch Liebedienerei der furchtsamverschreckten Kleinstadtungeheuer zu hemmungsloser Unverfrorenheit getrieben worden ist.

Arnold Preuß Leiter der Niederdeutschen Bühne, Übersetzer und Autor hat Gogols "Revisor" herzlich-deftig oldenburgischen Zungenschlag verliehen, die Satire des Ukrainers bis in pralldralle Schwankgefilde gelenkt, Gogols Figurenkabinett halbiert, die Originalfassung erheblich reduziert, aber wesentliche Handlungsstränge (und Aussagen!) des Entlarvungsschriftstellers einbezogen.

Georg Immelmann (Intendant der Landesbühne Nord) widerstand als Gastregisseur des Mundarttheaters offensichtlich der Versuchung, die auf augenzwinkernden Schwank getrimmten Grundtöne der Preuß-Version durch allzuviel feinnervige Charakterisierung zu veredeln. Aber er machte den Spielern hurtig Beine, streute ein paar szenische Glanzlichter (Auftritt des "dösig" umwerfenden Großbauernpaares!) bei, hielt auf Tempo, auf Quirligkeit. Und die Rahmengestalter (Bühnenbildnerin Marion Eisele, Kostümbildnerin Christine Sauerbier) setzten anheimelnde, geschmackvoll stimmungsträchtige Tupfer drauf.

Angesichts so reizvoll offerierter Vordergründigkeit nahm das Publikum keinen Anstoß an der arg schrill geratenen Einstiegs Brüllerei des "Kunnerlüürs" (Jürgen Tapken), der schließlich doch noch die komödiantisch angemessene Kurve kriegte. Auch die zum Ende hin abfallende darstellerische Präsentation des Hauptgegenspielers (Arnold Preuß als Stadthauptmann zunächst präzise real, schließlich etwas weniger überzeugend akzentuiert) wurde schmunzelnd gnädig registriert. Die frisch fröhliche Zustimmung am Ende jedes der fünf kurzgemachten Aufzüge galt, wie auch der üppige End Applaus allen , die sich da redlich mühten, die rustikale Nachdichtung von Preuß zündend über die Rampe zu bringen.

Schlünsen (Jürgen Tapken, li) ein hervorragender Blender,  die anderen - Christine Fein, Petra Loschen, Arnold Preuß, Manfred Janßen und Horst Jönck) fallen auf ihn herein.

WILHELMSHAVENER ZEITUNG vom 15. November 1993

"Kunnerlüür" als klassischer Schwank

Uraufführung der Niederdeutschen Bühne vom Publikum mit viel Beifall aufgenommen

Von Barbara Schwarz

De Kunnerlüür kam auf die Bühne des Stadttheaters. Asmus Ansmann heißt er, ist Stadthauptmann in einer ungenannten Kleinstadt fern der Hauptstadt und lebte etwa zu jenen Zeiten, als Wilhelmshaven gegründet wurde. Arnold Preuß, Leiter der Niederdeutschen Bühne am Stadttheater Wilhelmshaven, schrieb sich den Kunnerlüür nach dem Vorbild von Nicolai Gogols Anton Antonowitsch Skwosnik Dmuchanowski aus der Komödie "Der Revisor" auf den Leib. Preuß, der bereits fünf teils klassische, teils boulevardeske Komödien ins Niederdeutsche übersetzte, steht mit seiner Gogol Adaption in bester niederdeutscher Tradition. Paul Schurek hat mehrere Gogol Stücke ins Niederdeutsche übertragen; unter anderem "Die Heirat".

Um Gogols vielschichtigen "Revisor", den die Landesbühne im Januar 1978 mit Claus Hofer und Barbara Dembeck zum letzten Mal spielte, mit dem Ensemble der Niederdeutschen Bühne überhaupt verwirklichen zu können, mußte Preuß straffen und vereinfachen. Aus dem Schulrektor und dem Kreisrichter, aus dem Postmeister und dem Hospitalverwalter wurden je eine Person. Viele Rollen, vor allem die der Frauen, hat er ganz gestrichen, die der unterjochten Stadtbewohner in einer einzigen Person, dem Kramer Ahrens, zusammengefaßt. Herausgekommen ist eine farbige, pralle Komödie, die unter Georg Immelmanns lockerer, einfallsreicher, pointierter Regie ein nahezu klassischer Schwank wurde, dessen Höhepunkte mehr im ersten Teil des Stücks liegen.

Die Grootbuurn Hansen und Nansen sind urkomisch (Horst Karstens, Klaus Aden)

Über dessen Aktualität braucht man gar nicht erst lange, zu grübeln, liegen Schubladen und Amigo Affairen noch ganz nahe. Und die ewig menschlichen Schwächen wie Dummheit, Eitelkeit und Bestechlichkeit gehören zu den Themen klassischer Komödien Molieres "Tartuffe" über Kotzebues "Kleinbürger" bis hin zu Sternheims "Hose". Hübsch verpackt in russischgrünen Unter und Hintergrund (Bühne Marion Eisele) und schmucke zeittypische Kostüme (Christine Sauerbier), dazu wunderbar ausgeleuchtet, kam Preuß' niederdeutscher Revisor "De Kunnerlüür" beim Premierenpublikum ebensogut an, wie sein eigenes Spiel. Gelungen hier besonders jene Szenen, in denen er als Stadthauptmann Macht und Herrschsucht ausspielen darf.

Wunderbare Rollen hat Preuß auch für Manfred Janßen als hundezüchtenden Richter und Schulinspektor Friedrich Lamken und Horst Jönck als überaus neugierigen, herumwieselnden Postmeister und Sükenhuusverweser Karl Specketer geschaffen. Beide füllen ihre Rollen mit hintergründigem Humor. Klaus Aden und Horst Karstens als Grootbuuern Peter Hansen und Peter Nansen bereiten als clowneskes Komiker Duo rundherum Freude. Jürgen Tapkens Kunnerlüür Jan Schlünsen ist weitaus selbstbewußter und weniger schüchtern als Gogols Chlestakoff. Ein durchtriebener Gauner, der hier die Kleinstadt Größen an der Nase herumführt. Sein Diener Ossi ist in der Gestalt von Wilfried Pampuch ein naher Verwandter des plietschen Tüffelhannes. Zum munteren Spiel tragen auch Christine Fein und Petra Loschen als Anna und Maria Ansmann, Ralf Rüdiger Bayer als wackerer Kramer Ahrens, Klaus Panka als Diener Matten, Günter Jaedeke als Kellner und Heinz Zomerland als Wachtmeister bei.

Chameur Schlünsen (Jürgen Tapken) umgarnt die ganze Familie Assmann (Christine Fein, Arnold Preuß und Petra Loschen)