Wilhelmshavener Erstaufführung

EEN VAN DE LANDSTRAAT

Een nedderdüütsch Drama von Ernst Behrens

Speelbaas Heinrich Frese

Minschen
Bur Wilhelm Meinert - Adolf Marxfeld
Fro Lise Meinert - Therese Peters
Een oln Mann - Hermann Beuß
Fro Anna Lüders - Lotte Stehl
Een Knecht - Gerhard Kruse

PRESSEMITTEILUNGEN

Niederdeutsche Bühne "Rüstringen"

"Een van de Landstraat" - een nedderdüütsch Drama von Ernst Behrens

von Heinz Jacobs

Wohl selten hat ein niederdeutsches Drama auf die Freunde der Niederdeutschen Bühne "Rüstringen" einen solchen tiefen Eindruck hervorgerufen, wie dieser Dreiakter von Ernst Behrens, es sei denn, wir erinnerten uns der unvergleichlichen Dramen Hermann Boßdorfs. Die Art Behrens klingt übrigens leicht an Boßdorf an, auch hier fehlt das Helle, Aufstrebende, Lebensbejahende. Der Dichter läßt den Zuschauer ein erschütterndes Lebensschicksal erfahren und er malt dieses Schicksal in naturalisitschen Farben, wie es Boßdorf in seinen dramatischen Werken tat. Der niederdeutsche Mensch neigt schon von sich aus zum Ernst, er versteht es nicht, dem Leben in jeder Lage die heitere Seite abzugewinnen und dieser Charakterzug wird meistens als Hemmung empfunden. Daß hinter dieser Lebensauffassung aber viel mehr steckt, eine unvorsellbare Zähigkeit, eine nieversagende Unrast und eine vorbildliche Treue, ist auch bekannt.

Behrens hat einen Zug im Wesen und in der Art des niederdeutschen Menschen mit plastischer Schärfe herausgearbeit, als er jenen alten zerbrochenen Landsteicher als Mittelpunkt seines Drams nahm, diesen Mann, der als Jüngling einen Menschen im Jähzorn erschlug und deshalb von seiner jugendlichen Frau und seinem zweijährigen Kind gerissen wurde, um eine zehnjährige Zuchthausstrafe zu verbüßen und nachher ruhelos durch die Welt zu streifen, um als alter Mann wieder in die Heimat zu ziehen. Wohl ist dieser Mann ein menschliches Wrack, aber die Sehnsucht nach der Hemat hält ihn aufrecht und läßt ihn den Weg zurückfinden in sein Heimatdorf. Unerkannt kommt er auf den Hof des Bauern Meinert, der seine Tochter geheiratet hat. Und hier soll der alte Mann, dem das unerbittliche Sicksal so überaus hart mitgespielt hat, kennenlernen, wie versteinert ein Menschenherz werden kann. Denn der Bauer Meinert will den alten Landstreicher durch den Gendarmen vom Hof weisen lassen, als er in der Nacht erfährt, daß seine Frau ihm eine Kammer angewiesen hat.

Im ersten Akt des Dramas spürt man bereits, daß zwischen den beiden Eheleuten Meinert irgendetwas steht, daß diese Ehe nicht glücklich ist und der Stoff wird zum Konflikt geballt, als der Bauer die Faust hebt, um seine Frau zu schlagen, die gegen seinen Willen den alten Mann aufgenommen hat. Der zweite Akt bringt als Höhepunkt die Lebensgeschichte des Landstreichers, der sich schließlich seiner Tochter zu erkennen gibt und erschüttert zusammenbricht, als er erfährt, daß seine auf dem Hof des Bauern lebende Frau ihm seine jähe Tat vor 40 Jahren verziehen hat. Als er dann nach einem ergeifenden Wiedersehen mit seiner Frau merkt, daß der Bauer in ihm doch nur den Zuchthäusler und Landstreicher sieht, nicht aber den Menschen, der in einer unbeherrschten Stunde einen Fehler gemacht hat, schleicht er still zur Tür hinaus und setzt seinem Leben selbst ein Ende. Die Tochter und die Mutter aber verlassen den Hof des hartherzigen Bauern, der wiederum biltzartig zu derselben Erkenntnis kommt, die der Alte von der Landstraße 40Jahre lang mit sich herumgetragen hat. "To laat!" So endet das dreiaktige Drama mit einem tragischen Ausklang und vier Menschenleben sind durch eigenes Verschulden, durch Jähzorn und Halsstarrigkeit verpfuscht. Es gibt in diesem Stück keine verzeihende Liebe, keine alles überstrahlende Herzensgüte, die einen einmal begangenen Fehler vergessen und verzeihen könnte.

Bevor sich der Vorhang öffnete, sprach der Speelbaas der Niederdeutschen Bühne "Rüstringen", Rektor Pg. Heinrich Frese zu den zahlreich erschienenen Zuschauern. Es waren nur wenige Worte, die er der Aufführung voranstellte und es war derselbe Satz, den Ernst Behrens von Hermann Boßdorf entliehen an die Spitze seines Dramas stellte: "Mien Schicksal du, ik tahl di aff, mit Traan un Truer, Smart un Pien. De letzte Tahlung is mien Graff, mein Schicksal du, so mutt dat sien!" Das ist echt Boßdorf. Wir wissen, daß dieser unerreichte niederdeutsche Dramatiker viele Jahre als unheilbar kranker Mann lebte und seine unvergänglichen Werke schuf und es war wohl notwendig diese Worte für das Drama "Een van de Landstraat" voranszustellen. Die Zuschauer verstanden den Dichter und die Worte Hermann Boßdorfs. Sie saßen atemlos im Banne dieses erschütternden Menschenschicksals eines Mannes, der für ein unbedachte Tat eine allzuschwere Strafe auf sich nehmen mußte. Und der Beifall, der am Schluß vielhändig und lange gespendet wurde, galt neben dem Dichter in erster Linie den bewährten Darstellern der Niederdeutschen Bühne "Rüstringen".

Schon mehrere Jahre hindurch haben wir bei jeder Aufführung der Niederdeutschen Bühne "Rüstringen" immer wieder auf einen Spieler hinweisen können, der u. E. überhaupt die Seele dieser niederdeutschen Laienspielschar ist: Hermann Beuß. Dieser unermüdliche Mann, dieser geboren Künstler, kann in wenigen Wochen, am 21. April, seinen 81. Geburtstag feiern. Er lieh gestern abend dem alten Mann von der Landstraße seine reife und unerreichte Kunst. Wir haben Hermann Beuß schon in sehr, sehr vielen Rollen gesehen, in Komödien und Dramen. Aber wir müssen sagen, dies war die ergreifendste und erschütternste Rolle, die Hermann Beuß je gespielt hat. Die Kunst eines Schauspielers besteht darin, sich die Rolle, das Schicksal, daß der Dichter vor seinen Augen gesehen hat, zu eigen zu machen und sich selbst hineinzuversetzen. Wer das kann, ist ein wahrer Künstler. Ein solch begnadeter Mensch ist Hermann Beuß. Ergreifend und packend spielte er den alten Mann, dessen Leben urplötzlich seine alltägliche Bahn verließ und auf der Landstraße endete. Kaum hätten wir ihn wieder erkannt, als er einem menschlichen Wrack gleich in abgetragenen Kleidern, schlohweißem Haar und einem lagen Bart auf die Bühne kam. Diese Darstellung krönt die bisherige Bühnenlaufbahn eines so alten Schauspielers, wie Hermann Beuß es ist und wir sagen nicht zuviel, wenn wir zum Ausdruck bringen, daß er es verstanden hat, die Menschen im Saal bis ins Innerste zu packen und aufzurütteln.

Therese Peters hatte in der Rolle der Tochter dieses alten Mannes als Frau des hartherzigen Bauern Meinert, keine leichte Aufgabe. Wir waren überrascht von der seelischen Tiefe, mit der Frau Peters diese Rolle meisterte. Ohne falschen Pathos, mit einer echten und wahren Innerlichkeit spielte sie ihre Rolle, die ein außerordentliches schauspielerisches Können verlangte. Frau Peters kann für sich in Anspruch nehmen, daß sie neben Hermann Beuß die Trägerin des Dramas ist, denn auf diese beiden Personen, auf Vater und Tochter kommt es allein an. Als Bauer hatte Speelbaas Heinrich Frese Adolf Marxfeld eingesetzt. Wir kennen die leidenschaftliche Art dieses Spielers von dem Tage an, als er in Paul Schurecks Komödie "Stratenmusik" die schönste Rolle übernommen hatte und waren nicht enttäuscht. Mit seinen ganzen darstellerischen Fähigkeiten stattete Adolf Marxfeld auch diese Rolle aus. Daneben stand Lotte Stehl als Frau des Landstreichers. Alt und doch ungebeugt, typisch niederdeutsch hatte sie ihr Schicksal gemeistert und sie brach nicht zusammen, als sie im Alter ihren geliebten Mann wiedersah. Eine feine Leitung vor allem auch in der Maske. Gerhard Kruse gab einen untadeligen Kecht ab, der stur und doch von einer großen Herzensgüte seiner Bäuerin zur Seite steht, als der Bauer den alten Mann vom Hof jagen will.

Dieses Drama ist nichts für Menschen, die sich eine frohe Stunde machen wollen. Es regt zu Nachdenken an. Wir glauben auch gerade deswegen, daß die Niederdeutsche Bühne "Rüstringen" über die morgen abend stattfindende KdF-Vorstellung hinaus noch oft Gelegenheit haben wird, dieses Drama den Wilhelmshavenern zu zeigen.