Dat Herrschaftskind (WE)
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- Kategorie: Archiv
- Veröffentlicht: Donnerstag, 15. Oktober 2009 17:30
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Wilhelmshavener Erstaufführung
DAT HERRSCHAFTSKIND
Volkskomödie von Wilfried Wroost
Inszenierung: Willi Minauf
Bühnenbild: Hannes Kaebe
Inspizientin: Marie Siebels
Souffleuse: Elisabeth Stammereilers
Beleuchtung: Hugo Kazmierczak
Frisuren: Helmut Teichmann
Rollen und Darsteller
Krischan Kattwinkel, Hafenarbeiter - Emil Meinen
Sophie, seine Frau - Ellen Beutz
Gerda, ihre Tochter, Verkäuferin - Gerda Jörss
Dieter, ihr Sohn, Deckmann - Heino Aden
Johann Jungnickel, Malermeister und Hausbesitzer - Enno Buß
Werner Hauschildt, sein Neffe - Karl-Heinz Herpel
Frau Konsul Clementine Zerrhusen, Wwe. - Annemarie Beermann
Rudolf, Sohn aus zweiter Ehe, Kaffe-Importeur - Willi Völker
Mijnheer van Vlierberghe, Plantagenbesitzer aus Java - Arno Tholen
Albert, Diener bei Zerrhusen - Ernst Neumann
Frau Konsul Zerrhusen (Annemarie Beermann) mit dem Ehepaar Sophie und Krischan Kattwinkel (Ellen Beutz, Emi Meinen) in einer Szene aus "Dat Herrschaftskind" - Spielzeit 1956-57
WILHELMSHAVENER ZEITUNG vom 16. Oktober 1956
Zwischen Hamburgs Trampgang und Harvesthude
Viel Beifall um Wilfried Wroosts Volkskomödie „Dat Herrschaftskind"
Eine abgrundtiefe Kluft liegt zwischen den beiden Hamburger Wohnbezirken Harvestehude und dem „Trampgang", jenem vornehmen Villenort Hamburger Patrizierfamilien und dem Domizil armer Menschen, die ihres Lebens Unterhalt durch tägliche Handarbeit verdienen müssen. Es sind zwei vollkommen verschiedene Welten, um die Wilfried Wroost's „Volkskomödie", wie er sie nennt, „Dat Herrschaftskind" kreist. In einem „Plädoyer für das Volksstück", das im Programmheft abgedruckt worden ist, sagt der Dichter auch, warum er diese Bezeichnung wählte.
So sehr viel Komödienhaftes diesem prächtigen niederdeutschen Bühnenstück auch anhaftet, es steckt auch sehr viel von einer echten Tragödie in ihm. Das liegt allein in dem Schicksal jenes armen Schauermanns Krischen Kattwinkel begründet, der als Hafenarbeiter recht und schlecht sein Geld verdienen muß, in einer mehr als bescheiden möblierten Küche wohnt, mit der Miete rückständig ist, weil ein Unfall im Hafen ihn im Verdienst zurückgeworfen hat, und mit einem recht lockeren Mundwerk gern über die „vornehmen Leute" herzieht. Und eben dieser Mann erfährt am Geburtstag seiner alten Mutter, daß er eigentlich gar nicht ihr richtiges Kind ist, sondern vielmehr bei einer Maskerade vertauscht worden ist. Eigentlich ist nämlich Krischen ein „Herrschaftskind", ein Kind reicher Eltern, und der „richtige" Krischen Kattwinkel, der Mensch, der wohlbehütet in einer Villa aufwuchs, müßte von Rechts wegen Hafenarbeiter sein.
Wroost hat nun die Konflikte, die sich mit der Entdeckung des biederen Schauermanns, daß er eigentlich ein völlig falsches Leben seit 46 Jahren geführt hat, entwickeln, sehr fein herausgearbeitet und die ganze Tragik, die sich dem falschen Krischen mit seiner Entdeckung offenbart, auf diese eine Rolle verdichtet. Und der krasse Gegensatz zwischen dem armseligen Trampgang, dem „ArmeLeute-Viertel", und dem satten Villenort Harvestehude tritt sehr deutlich in den handelnden Personen hervor. Krischen Kattwinkel, dessen Lebensschicksal ein leichtfertiges Dienstmädchen einen völlig anderen Kurs gab, kann nicht plötzlich ein Leben zwischen Sesseln und seidenen Tapeten führen, er ist als einfacher Mensch groß geworden und paßt nicht in die noble Umgebung. Und die vornehme Mutter, die Frau Konsul, spürt keinen Hauch der Blutsverwandtschaft zu ihrem leiblichen Sohn, der da plötzlich aus dem Tranmpgang auftaucht; sie sieht nur den linkischen Schauermann mit den verarbeiteten Händen und seine allzu redselige Frau, deren goldenes Herz ihr verborgen bleibt.
Willi Minauf als Regisseur des Stückes übertrug mit Recht Emil Meinen den schweren Part des Krischan Kattwinkel . Und dieser bewährte Darstellter gab erneute eine treffende Probe seines Könnens, wenn es ihm gelang, überzeugend echt die ganze Tragik eines verfehlten Lebens als „Kuckucksei up twee Beenen" in seinem Spiel anklingen zu lassen. Ihm zur Seite als seine Frau Sophie steht Ellen Beutz als resolute, nur dem praktischen Leben zugewandte Gefährtin, die sich nicht blenden läßt, aber im entscheidenden Augenblick beweist, wo die echte Herzensbildung ihre wahre Heimstatt hat. Beide Spieler fanden mehrmals Beifall auf offener Szene, wenn man Ellen Beutz auch anraten möchte, in derartigen Rollen ihre so oft und treffend bewiesene eigene Persönlichkeit auszudrücken und sich nicht an Vorbilder zu halten.
Gerda Jörß als Tochter dieses Schauermanns-Ehepaars war ein niedliches, verliebtes junges Mädchen mit viel Charme und Liebreiz. Ihr Partner Karl-Heinz Herpel ein rescher und zielbewußter junger Handwerksmeister, der sich nicht den Wünschen eines alternden Onkels fügt, sondern sein Glück allein schmieden will. Ein unbekümmerter und frischer Decksmann, der durch eine kühne Tat die Bekanntschaft mit den reichen Leuten vermittelt, die eigentlich die engste Verwandtschaft der Familie Kattwinkel sind, ist Heino Aden. Enno Buß ist wieder ganz in seinem Element als alter gnatteriger Malermeister und Hausbesitzer Jungnickel, dessen Rheuma sich sogar in seinen Gesichtszügen und in seinen Handlungen abzeichnet. Eine überragende Charakterstudie, die volles Lob verdient! Ausgezeichnet ist wieder Annemarie Beermann in ihrer Rolle als „distinguierte" Frau Konsul, die es im Grunde ihres Herzens bedauert, daß plötzlich, nach fast einem halben Jahrhundert, ihr echtes „Fleisch und Blut" sich als ganz gewöhnlicher Hafenarbeiter bei ihr präsentiert. Es ist immer wieder eine Freude, diese Spielerin in einer Rolle zu sehen, die eine eigene Note verlangt.
Willi Völker gab der Person des reichen Kaffee-Importeurs Zerrhusen jene Züge, die der Dichter dieser Rolle vorschreibt, schwankend und ohne eigentliches Profil und sehr dem Einfluß der patrizierstolzen Mutter unterliegend. Arno Tholene als reicher Plantagenbesitzer Mijnheer van Vlierberghe, der sich als vertauschtes Kind entpuppte, war straff und gefestigt im Vollgefühl seines vom Adoptivvater ererbten Reichtums, aber sympathisch als Mann mit Herz für die Sorgen der kleinen Leute. Eine volle Leistung bot Ernst Neumann als Diener im Hause der Frau Konsul, Hannes Kaebe gab mit seinen Bühnenbildern einen stilechten Rahmen für das sehenswerte Stück, dem ein vollbesetztes Haus lang anhaltenden Beifall für den Dichter, die Darsteller und nicht zuletzt den Regisseur aus ehrlichem Herzen zollte. -bs.
Annemarie Beermann stellte die Konsulin Zerrhusen eindrucksvoll dar, ebenso Willi Völker ihr Adoptivsohn, als Mjenheer van Vlierberghe beeindruckte Arno Tholen in "Dat Herrschaftskind" - Spielzeit 1956/57
WILHELMSHAVENER RUNDSCHAU vom 16. Oktober 1956
Premiere der „Niederdeutschen Bühne"
"Dat Herrschaftskind" / Volkskomödie in 3 Akten von Wilfried Wroost
„Ich bin nicht mehr ich", mit dieser Feststellung kommt Krischan Kattwinkel vom Geburtstagsbesuch bei seiner Mutter zurück. Das führt zu den größten Verwirrungen im Hause des Schauermannes, der im Armeleuteviertel Hamburgs wohnt, aber „juristisch" und „biologisch" Anspruch auf ein Leben in einer Harvestehuder Villa gehabt hätte, wenn er nicht als Baby auf einer Maskerade, wo ihn ein leichtsinniges Kindermädchen in der Garderobe abgegeben hatte, vertauscht worden wäre.
Wilfried Wroost nennt sein Werk eine Volkskomödie, um mit dem Titel „Volksstück" nicht in den falschen Verdacht zu kommen, sozialkritische oder gar politische Ziele zu verfolgen.
Die Niederdeutsche Bühne verhalf diesem Stück zu einem großen Erfolg. Im Mittelpunkt steht Krischan Kattwinkel selbst. Emil Meinen spielte diese Rolle so echt, so lebensnah, daß der Beifall , den er mehrfach bei offener Szene erhielt wohlverdient war. Nichtminder begeisternd spielte Ellen Beutz die Frau des „Herrschaftskindes", deren Herzensgüte auch von einem raschen Mundwerk nicht zu übertönen war. Sie fand am schnellsten den Weg in die rauhe Wirklichkeit zurück, als sich herausstellte, daß zwar an der hohen Herkunft ihres Gatten nicht mehr zu zweifeln war, ihm der Weg in die Villa aber doch versperrt blieb.
Großes schauspielerisches Talent in Mimik und Sprache entwickelte Annemarie Beermann in der Rolle der Frau Konsul Clementine Zerrhusen. Auch Enno Buss bewies wieder einmal sein großes Können als Darsteller origineller Typen, diesmal als Malermeister und Hausbesitzer Jungnickel. Willi Völker und Arno Tholen, der eine als der echte Sohn der Frau Konsul, der andere als der vertauschte, beide gefielen durch ihr Geschick, sich der jeweiligen Situation schnell anzupassen. Hervorgehoben zu werden verdient auch Ernst Neumann als vornehmer Diener, der verschmitzt lächelnd den Vorhang schließt, ehe der strenge Blick seiner Herrin das Liebesglück der beiden jungen Leute (Gerda Jörss als Tochter Kattwinkels und Karl-Heinz Herpel als angehender Malermeister) erspäht. Heino Aden als Decksmann Dieter, der durch seine mutige Tat der Rettung des Enkels der Frau Konsul den Stein ins Rollen bringt zur Aufklärung der ursprünglich verwickelten Familienverhältnisse, spielte frisch und lebendie bis zum Ende. Seine Belohnung erhielt er nicht nur in Form eines 1000-Mark-Schecks, sondern auch durch eine gute Position auf der Kaffeeplantage des Mannes, der 46 Jahre lang die Stelle seines Vaters im Hause Zerhusen „vertrat".
Willi Minaufs Regie klappte ausgezeichnet, während das von Hannes Kaebe geschaffene Bühnenbild sowohl die ärmlichen Wohnverhältnisse im Hamburger Trampgang als auch in der Harvestehuder Villa milieugerecht wiedergab. Zweieinhalb Stunden lang gab es im Stadttheater teils schallendes Gelächter, teils verständnisvolles Lächeln. Und zum Schluß stürmischen Applaus für die Mitglieder der Niederdeutschen Bühne. Joce