Wilhelmshavener Erstaufführung
MAMSELL BETTY
Heiteres Volksstück in sechs Bildern von Hans Herzog
Plattdeutsch von Heide Tietjen
Inszenierung: Günter Boye
Bühnenbild: August Ahlers
Bühnenbild-Bau: Alfred Christoffers, Bodo und Wilfried Christoffers, Karl-Heinz Goldenstein, Michael Müller, Klaus Panka, Klaus Standhart
Beleuchtung: Heinz Bartelt
Inspektion: Herta Tapken
Souffleuse: Margot Andrews
Requisiten: Marga Goldenstein
Rollen und Darsteller
Betty Johannsen, Köchin bei Clausen - Rika Jung
Hein, ihr Neffe, Ausrufer bei der Hafenrundfahrt - Jürgen Tapken
Wanda Blohm, Dienstmädchen bei Clausen,
weitläufig mit Betty verwandt - Wilma Welte
Claus W. Clausen, ehemaliger Kapitän - Horst Jönck
Charlotte, seine Frau, Tochter eines Klein-Reeders - Hanna Christoffers
Oscar, Kutscher bei Friedrichs - Manfred Janßen
Jochen Friedrichs, verbummelter Student - Arnold Preuß
Regisseur Günter Boye als akteverbindender Moritatensänger
WILHELMSHAVENER ZEITUNG
Ein heiteres Volksstück um eine Mamsell
Premiere der Niederdeutschen Bühne fand beim Publikum herzliche Aufnahme
Von Theodor Murken
Die Niederdeutsche Bühne brachte als vierte Inszenierung dieser Spielzeit ein heiter- besinnliches Volksstück auf die Bühne: "Mamsell Betty" von Hans Herzog in der plattdeutschen Übersetzung von Heide Tietjen. Ein ursprünglich hochdeutsches Stück also, dessen handelnde Personen aber niederdeutsch sind. Es spielt um das Jahr 1910 in Hamburg und ist damit eine Rückerinnerung an eine vergangene Ära. Eine in jeder Beziehung saubere Inszenierung fand beim Publikum herzlichen Beifall.
Ein reizvoller Auftakt: Ein Orgeldreher kam vor den Vorhang und leitete die Aufführung und weiterhin auch jedes der sechs Bilder mit einem Lied nach Moritatensängerart ein. Als Lustspiel mit einer Mischung von Heiterem und Ernstem enthält das Stück einen gehörigen Schuß zeitkritischer Beleuchtung gesellschaftlicher Verhältnisse um die Jahrhundertwende.
Die Mamsell (Rika Jung) ist die gute Seele des Hauses, das wissen auch der Hausherr selbst (Horst Jönck) und natürlich der Kutscher (Manfred Janssen)
Der Autor Hans Herzog, ein versierter Stückeschreiber, ist zunächst unter seinem wirklichen Namen Rolf Schulz durch Filme und Fernsehstücke bekannt geworden, um sich dann "mit viel Engagement" dem Volksstück zuzuwenden. Er beherrscht sein "Handwerk" und hat auch Ideen, die Gestaltung seines Lustspiels "Mamsell Betty" macht ihn durchaus sympathisch. Die Handlung spielt sich im Hause eines Hamburger Kapitäns ab, das in einem vornehmen Hamburger Stadtviertel liegt. In der Küche wirkt Mamsell Betty als Köchin, ein "Dienstmädchen vom Lande" kommt hinzu, und der von der Mamsell als Neffe bezeichnete Hein, dessen Urwüchsigkeit der Autor den lackierten verbummelten Studenten als Mädchenjäger kontrastreich gegenüberstellt.
Schließlich gehören zu den handelnden Personen außer einem treuherzigen, leider alkoholsüchtigen Kutscher noch der Herr des Hauses, der Kapitän, sowie dessen Frau, deren Eltern zwar noch Fische verkauft haben auf dem Hamburger Fischmarkt, die aber dennoch zu den "besseren Leuten" im Sinne jener zeit (sich) zählt und im "Sittlichkeitsverein" wirkt.
Für Hein (Jürgen Tapken) und Wanda (Wilma Welte) könnte es so schön aussehen, aber Mamsell Betty (Rika Jung) hat große Sorgen, daß da der Student Jochen Friedrichs dazwischen kommt.
Günter Boye als Regisseur und August Ahlers (Oldenburg) als Bühnenbildner gemeinsam mit sieben am Bau des Bühnenbildes beteiligten Mitgliedern der Bühne haben viel Liebe auf die Inszenierung des Stücks verwendet, ihm inneren Schliff und einen sauberen äußeren Rahmen gegeben. Bei der Gestaltung der Küche, dem "Reich der Mamsell", fehlte sogar der früher gebräuchliche Kohlenherd nicht, und was die Mamsell auf den Tisch brachte, schien auch in jeder Beziehung echt zu sein.
Die Mamsell nun, Betty Johannsen,war nicht nur dem Namen nach tragende Person der Aufführung. Rika Jung gab ihr meisterhaft die Züge einer Frau, die über 30 Jahre ihrer Herrschaft treu gedient und sich ihre menschliche Würde mit einer Portion von Resolutheit und Selbständigkeit bewahrt hat. Es strahlte auch viel Mütterlichkeitvon ihr aus, nicht nur gegenüber ihrem "Nenn-Neffen" Hein, sondern auch gegenüber dem ins Haus kommenden Dienstmädchen Wanda, deren Rolle in Wilma Weite eine Darstellerin gefunden hat, die sofort das Publikum fesselte, als sie aus kinderreicher Familie mit ärmlicher Wohnung in das vornehme Haus kommt, zaghaft und verwundert, zurückhaltend und ergeben, bis sie schließlich durch den Neffen Hein, dem Jürgen Tapken überzeugende Gestalt gab, aus dieser Sphäre herausgehoben wird.
Horst Jönck hat in der Rolle des Kapitäns bei allem das Nachsehen, wo er sich doch auch nur um das Mädchen "kümmern" wollte, weil er mit seiner Frau nicht recht harmonisiert und wohl auch besser seine jetzige Köchin, bei der er sich heimlich sattessen kann, geheiratet hätte; mit ihr war er in seiner Jugend befreundet.
Die "gnädige Frau", von Hanna Christoffers mit gewollter Halb-Vornehmheit einer "aufgestiegenen" Frau dargestellt, ist nun aber auch der "Drache" des Hauses und muß am Ende doch sehr in sich gehen. Manfred Janßen oblag die Aufgabe, den Kutscher zu spielen, der den bei der Mamsell ergatterten Branntwein nicht nur (oder überhaupt?) gegen das Rheuma seiner Liese verwendet, und Arnold Preuß hatte dem verbummelten Studenten in vollem Wichs mit Band und Schmiß den forsch-herrischen Ton eines Sohnes aus "gutem Hause" zu verleihen, der schließlich genötigt ist, freiwillig "die Gosse" zu räumen. Das alles war, ein wenig dick aufgetragen, gut gekonnt, und die Statur hatte Preuß ja dazu.
Er mag wohl nur die Dame des Hauses (Hanna Christoffers) beeindrucken, Mamsell Betty (Rika Jung) hat den Schleimer Friedrich (Arnold Preuß) längst erkannt