Güstern eers un morgen wedder (WE)
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- Veröffentlicht: Samstag, 17. Oktober 2009 06:52
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elfte Gemeinschaftsproduktion
Niedersächsische Erstaufführung
GÜSTERN EERS UN MORGEN WEDDER
Eine Alltäglichkeit für die Niederdeutsche Bühne von Ingo Sax
Inszenierung: Albrecht C. Dennhardt
Bühnenbild: Albrecht C. Dennhardt
Regieassistenz Petra Buchtmann, Varel
Produktion und Dramaturgie: Arnold Preuß, Wilhelmshaven
Bühnenbildbau: Harald Kaminiski, Dirk Brumund, Bernd Theilen, Thomas Wächter,
Andreas Frerichs, alle Varel
Bühnenmalerei: Egon Lopp, Erwin Heidemann, Varel
Bühnentechnik: Gesienus Thomas, Karl-Heinz Goldenstein, Wilhelmshaven
Licht und Ton: Hans-Walter Freels, Heiko Iden, Varel
Souffleuse: Jenny Backermann, Varel
Maske: Helga von Essen, Wera Schwärmer, Varel
Requisiten: Dieter Schwärmer, Jenny Backermann, Varel
Inspizientinnen: Petra Buchtmann, Varel, Annemarie Penningroth, Brake
Rollen und Darsteller
Rolf Nissen, Landwirt - Werner Nörtker, Emden
Carola Nissen, seine Frau - Gitta Laßen, Varel
Rasmus, Allroundman - Ferdinand Müsker, Neuenburg
Munja Weiß, Heilkundige - Brigitte Halbekath, Wilhelmshaven
Marion Weiß, ihre Tochter - Elke Theesfeld, Jever
Dr. Heimbuch, Jurist - Dieter Stöver, Varel
Munja Weiß, 1945 - Elke Theesfeld, Jever
Heimbuch, 1945 - Alf Hauken, Neuenburg
Hannes, landw. Angestellter - Horst Karstens, Wilhelmshaven
Hannes, Flakhelfer - Arne Laßen, Varel
Vadder Weiß - Rolf Jaspers, Emden
Aus Wilhelmshaven dabei: Brigitte Halbekath (Munja Weiß) und Horst Karstens (Hannes)
Nord-West-Zeitung
Schauspiel von Ingo Sax:
Güstern eerst un morgen wedder
Gemeinschaftsproduktion des Niederdeutschen Bühnenbundes
Von Ernst Goetsch
Varel. Rechtsradikalismus und Rassismus haben das Dritte Reich überlebt. Diese Erkenntnis trieb 1987 den Hamburger Autor Ingo Sax, Szenen unbewältigter deutscher Vergangenheit nachzugestalten. Doch sein Schauspiel "Güstern eerst un morgen wedder" als Mahnung und Warnung gedacht fand damals, zwei Jahre vor der Wiedervereinigung, beim Publikum der Kieler Uraufführung keine ungeteilte Aufnahme. Inzwischen haben Übergriffe auf Ausländerheime in Ost und West drastisch unterstrichen, daß der Hinweis von Sax auf latente Gefahr durch nationalistischen Ungeist weder verfrüht noch übertrieben war.
Seit dem vergangenen Wochenende ist das brisante Werk des Hamburgers (52, Sozialpädagoge und Psychologe) auch zwischen Weser und Ems zu sehen als Gemeinschaftsproduktion des Niederdeutschen Bühnenbundes Niedersachsen Bremen. Die einhellig wirkende Zustimmung des Publikums der Premiere im Allee Hotel zu Varel läßt positive Aufnahme auch bei den geplanten weiteren 30 Vorstellungen an 12 Spielorten des Nordwestens erhoffen.
Sax führt in seinem Stück vielschichtig Variationen von Ausländerfeindlichkeit während der Hitler Zeit und in der Gegenwart vor: Kampf gegen "alles Undeutsche", Machtmißbrauch, Habgier, Intoleranz. Da taucht ein ehemaliger NS Offizier, der einst eine Gruppe von sogenannten Landfahrern mit "abgeflammt" hat, im demokratischen Mäntelchen (Kanzleirat, Stadtrat!) als Grundstücksspekulant auf, um einer längst bodenständig gewordenen Sinti Frau ihre Kate abzuluchsen. "Munja", dieser Frau, ist die Kate nebst Grundstück von einem ihr innig zugeneigten "arischen" Bauern vermacht worden!
Aber Munja hat ihre bescheidene bürgerliche Existenz auch gegenüber der jungen Nachbarin Carola zu verteidigen, die sich als "Herrin" der Kate wähnte und sie zu verkaufen trachtete. Am Ende sind Schatten der Vergangenheit aufgehellt; eine Ehe ist an Habgier zerbrochen, ein mysteriöser Tod aufgeklärt, ein Ansatz zu Gerechtigkeit, zu harmonischer (neuer) Partnerschaft und nachbarlichem Miteinander erkennbar.
Sax bringt in dieses etwas verknotete Spiel realistisch geformte Dialoge ein, trifft den Kern. Das wird in dieser von Arnold Preuß (Wilhelmshaven) produzierten, von Albrecht C. Dennhardt (Oldenburg) feinfühlig inszenierten Aufführung besonders deutlich, wenn der Darsteller des Ex Seemanns und Hausausbauhelfers "Rasmus" (Ferdinand Müsker aus Neuenburg) exakt den humanen Ton eines unverfälscht Gebliebenen anschlägt, der die verlogen barbarischen Praktiken der "Braunen" durchschaut, sich selbst nie ändert, aber nicht die Kraft hat, andere zu wandeln.
Von Dennhardt gleichermaßen exakt eingewiesen wirken u. a. Brigitte Halbekath (Wilhelmshaven) als an "Angst gewohnte", gleichwohl couragierte Munja, wie auch Dieter Stöver (Varel) in der Rolle des unbelehrbar auf Verjährung von Schuld pochenden AltNazis Dr. Heimbuch. Ihnen und allen anderen Akteuren insgesamt zehn Amateurschauspielern von fünf niederdeutschen Bühnen wurde in Varel viel Applaus zuteil. Auch das griffig angelegte, zwei Schauplätze ausweisende Bühnenbild Dennhardts fand Würdigung. Autor Sax, bei Spielende auf die Bühne gehend, durfte den Eindruck heimnehmen, daß er in Varel verstanden worden, daß sein Warnund Lehrstück "angekommen" ist.